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Auf den Spuren der Vergangenheit-
Portrait einer Halsuhr aus der Epoche des Stackfreeds (ca. 1550-1650)

   Bei einer gedanklichen Zeitreise in die Vergangenheit, in die Epoche des Stackfreeds, passieren wir vor einem Jahrhundert das Ende des Deutschen Reiches mit Kaiser Wilhelm II an der Spitze. Vor rund zweihundert Jahren erlebten die Menschen die Folgen der Französischen Revolution und die Herrschaft des Napoleon Bonaparte. Die Hälfte der zeitlichen Wegstrecke ist jetzt zurück gelegt. Etwa vier Generationen davor regierte in Frankreich der Sonnenkönig Ludwig XIV. Nachdem wir den 30-jährigen Krieg(1618-1648) hinter uns gelassen haben, kommen wir langsam in den zeitlichen Bereich, in dem das Stackfreed im deutschsprachigen Raum in Halsuhren verwendet wurde. Diese Epoche reichte von 1550 bis etwa 1650. Zu dieser Zeit konnten sich nur hochgestellte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ein solches Kleinod leisten. Dass die Halsuhr auch ein Statussymbol war, belegen zahlreiche Bilder, auf welchen sich die stolzen Besitzer mit ihrer Uhr portraitieren ließen.
   Die frühen Halsuhren entwickelten sich aus den zylindrisch geformten Dosenuhren, wurden flacher und bildeten in der Zeit um 1650 die Gruppe der sogenannten Trommeluhren. Diese waren am Boden und am Deckel der Uhr flach geformt und hatten ein gerades Band um die Seiten herum. Sowohl der Deckel als auch der Boden waren aufgedrückt und hatten keinerlei Scharniere als Verbindungselement.
Später entwickelte sich aus der Zylinderform der Trommeluhr ein abgerundetes Gehäuse mit leicht erhabenen Gehäusedeckeln sowie gerundeten Seitenteilen. In der Regel waren diese Gehäuse durchbrochen, da die Mehrzahl der heute noch existenten Uhren jener Zeit mit einem Stunden-Schlagwerk und einer Glocke ausgerüstet waren. Fast immer war die Gehäuseschale, das Werk mit dem Zifferblatt und der Gehäusedeckel durch ein Scharnier bei der Zwölf verbunden.
   Ein wesentliches Anliegen der Uhrmacher lag darin, die vorhandene Kraft gleichmäßig auf das Werk wirken zu lassen. Mithilfe der Schnecke gelang es schon früh, diesen Kraftausgleich zwischen einer voll aufgezogenen und einer abgelaufenen Feder zu erreichen. Im deutschsprachigen Raum wurde in tragbaren Uhren auch eine andere Variante des Kraftausgleiches eingesetzt: „das Stackfreed“. Die Herkunft des Begriffes ist nach wie vor nicht geklärt. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts, ca. 300 Jahre nach der ersten Verwendung des Stackfreeds, wird die Bezeichnung in der Uhrenliteratur gebräuchlich. Eine Variante, diesen Begriff für den deutschen Sprachgebrauch zu interpretieren, lautet: „Starke Feder“. Durch den Wegfall der Schnecke wurde Platz für den Einbau von Schlagwerken geschaffen.
   Die Kurzbeschreibung der hier vorzustellenden Uhr in Katalogen oder Sammlungsbeschreibungen könnte etwa so lauten: vergoldete Selbstschlaguhr in Dosenform, Werk unsigniert, Deutsch um 1600, Werk mit Eisenplatinen und –Pfeilern, Stackfreed in C-Form, Foliot mit Schweinsborsten-Regulierung, Zifferblatt mit Windrose im Zentrum, Stundenzeiger aus Eisen, Durchmesser: 54 mm, Dicke: 28 mm.
   Solcherlei Beschreibungen können aber die spezielle Uhr nicht hinreichend kennzeichnen. Es sind umfangreiche Anmerkungen zu den Einzelheiten erforderlich. Trotz vieler Gemeinsamkeiten der frühen Halsuhren kann dennoch nicht von einem Standard-Werktyp gesprochen werden. Die Gesamterscheinung dieser Uhr vermittelt uns ein Bild solider Handwerkskunst verbunden mit einem entsprechendem Gewicht (ca. 155 Gramm). Selbst die Gehäuse-Durchbrüche für den Schall der Glocke lassen die Wandungen nicht filigran wirken. Das Gehäuse ist aus dem Boden, dem Deckel und der Wandung aufgebaut und besteht aus vergoldeter Bronze. Die Muster der Gravierungen kehren immer wieder. Der Boden besitzt im Zentrum ein floral dekoriertes Feld in dem sich mittig die Bohrung für die Befestigungsschraube der Glocke befindet. Darum herum sind vier gleichartige feine Durchbruchsarbeiten angeordnet, in denen sich jeweils zwei Tierköpfe befinden. Der äußere, breite Rand ist mit floralen Motiven verziert. Dann folgt der ein wenig nach außen gewölbte Randbereich, der ein ganz typisches Renaissancemotiv zeigt, welches in anderen Bereichen wie der Architektur, auf Möbeln und Bildern immer wiederkehrt. Der Deckelrand ist in gleicher Weise wie der Bodenrand graviert. Bei der „VI“ befindet sich ein kleiner kommaförmiger Haken, der den Deckel mit der Gehäuseschale verschließt. Um die zentrale, gelochte und gravierte Scheibe sind die zwölf herzförmigen Ausnehmungen platziert, durch die man die Stundenzahlen ablesen kann. Für die halben Stunden sind weitere Öffnungen konzipiert. Das zentrale Loch dient der Zeigerstellung mit einem Schlüssel. Die Innenseite des Gehäusedeckels ähnelt in der Gravur der Außenseite.
   Das aufwändig gestaltete Zifferblatt zeigt den hohen Standard und den Einfallsreichtum, welche die Graveure jener Zeit besaßen. Im Mittelpunkt des vergoldeten Zifferblattes ist der Eisenzeiger mit einer Steckverbindung befestigt. Das Zentrum ist graviert mit Sonnenstrahlen und einer Windrose.Zwei Stundenskalen dienen der Anzeige, wobei der äußere Ring in römischen Zahlen die Stunden I – XII und der innere Ring die 13. bis zur 24. Stunde anzeigt. Besondere Aufmerksamkeit verdienen der innere Stundenring und die Zifferngestaltung. Die Zwei in Form eines „Z“ verweist eindeutig auf einen süddeutschen Herstellungsort. Die üblichen Halbstunden-Markierungen sind in der Außenskala als Sternchen und in T-Form im inneren Kreis dargestellt. Die in dieser Epoche üblichen Tastknöpfchen für die zwölf Stunden sind außen um den 1. Stundenring herum angebracht. Sie dienten zur Zeitablesung während der Dunkelheit. Durch ein Loch bei der X kann der Stundenschlag justiert und in Übereinstimmung mit der Zeitanzeige gebracht werden. Bei der XII befindet sich ein siebenteiliges Scharnier mit dem die Gehäuseschale, der Gehäusedeckel und das Zifferblatt beweglich verbunden sind. Direkt darüber ist ein stabiler Pendant mit einem Ring angebracht. Durch diesen kann eine Kette oder eine Tragekordel gezogen werden. Das kunstvoll gestaltete Äußere der Uhr macht deutlich, dass es sich um ein Prestigeobjekt handelt.
   Zwei sehr stabile Henkel an der Unterseite des Zifferblattes stellen die solide Verbindung zum Werk her. Diverse Teile des Uhrwerkes sind noch aus Eisen gefertigt wie die Platinen, die rechteckigen Stützpfeiler, das Stackfreed, die Kurvenscheibe, das Foliot mit dem dazugehörigen Kloben, die Reguliereinrichtung sowie weitere Kleinteile. Alle Eisenteile sind konservatorisch behandelt, um ein Korrodieren zu verhindern. Die Pfeiler sind von der Zifferblattseite aus verstiftet. Bei späteren Taschenuhren geschieht dies von der gegenüber liegenden Seite.. Bei Betrachtung der Werkunterseite fällt der Blick sofort auf das C-förmige Stackfreed. [Umfangreiche Ausführungen zu diesen Uhren und der Wirkung des Stackfreeds sind von Otto Habinger (Alte Uhren 1/1991) und von Heinrich Pavel in seinem Bericht in der Jahresschrift DGC 2003 ab S. 65 gemacht worden.]
   Das Stackfreed (Federbremse) dient zum Ausgleich der wechselnden Federspannung, um die Ganggenauigkeit der Uhr zu verbessern. Es handelt sich dabei um eine Feder, die mit einem an der Spitze befindlichen Rad an eine Kurvenscheibe (in Nieren- oder Schneckenform) drückt. Diese Scheibe wiederum ist auf ein Zahnrad montiert, das in einen Trieb eingreift, welches auf der Federwelle befestigt ist. Das ganze dreht sich im Verhältnis 1:3, das bedeutet 1 Drehung des Stackfreedrades = 3 Umdrehungen des Federrades. Die Verzahnung des Stackfreedrades ist nicht komplett, so dass es auf beiden Seiten einen Anschlag gibt. Damit ist eine mittlere Druckstärke der Feder ist gewährleistet. Die insgesamt schmucklose Rückansicht zeigt unter anderem die eiserne Friktionsscheibe mit dem Stopprad von 26 Zähnen und das Führungstrieb von 8 Zähnen.
   Aus der Waag der frühen Großuhr entwickelte sich die Löffelwaag, wie sie hier zu sehen ist. Weitere Entwicklungsstufen folgten mit der Unrast (2-schenkelig und ohne Spiralfeder) und der Unruh (3-schenkelig mit Spiralfeder) und vielen weiteren Stufen in Form von Kompensationen. Die Spindel mit der Löffelwaag (Foliot) wird vom Kloben in einfacher Stabform gehalten. Dieser entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem aufwändigen Schmuckelement mit Gravierungen, feinen Sägearbeiten, schönen Emaildekoren usw., um dann in neuzeitlichen Taschenuhren wieder zu einem einfachen Bauteil zu werden. Der Hebel mit den senkrecht aufgebrachten Schweinsborsten dient der Regulierung der Schwingungsweite des Foliots. Eine Hilfsskala unterstützt die Handhabung der Regulierung. Die innenverzahnte Schloßscheibe ist Teil des Stundenschlagwerkes, welches hier die Stunden von I-VI schlägt. Das Gehwerk und das Schlagwerk sind zwischen den beiden eisernen Vollplatinen angeordnet.
   In sehr frühen Halsuhren war die Aufzugs-Feder ohne ein Federhaus zwischen Pfeilern untergebracht. Im Gegensatz dazu besitzt die hier beschriebene Uhr zwei feststehende Federhäuser. Die Räder des Gehwerkes sind geschenkelt, während alle im Schlagwerk geschlossen sind.
Die hier porträtierte Uhr besitzt einen 6-Stunden-Schlag (1-6), den sogenannten Italienischen Schlag. Der fängt für den Schlag der „7“ wieder mit der „1“ an. Der 6-Stunden-Schlag wurde fast ausschließlich für den italienischen Markt gefertigt. Uhren dieser Art sind selbst in Museen nur noch selten anzutreffen, finden dafür jedoch in der Literatur immer wieder Beachtung, wie die nachfolgende Auflistung belegt:
Catalog of watches in the British Museum I: Stackfreed S. 67 Beschreibung der Uhr 51 Niclaus Rugendas Notes: 

1. „The watch is designed to strike 1-6 only.”
Uhren und Messinstrumente 15.–19. Jhd. S. 70 u. 71 Reiseuhr von Grégoire Jean, Blois 16. Jhd. Musée du Petit-Palais, Paris

Abb. der hinteren Platine mit Schlossscheibe 1-6.
Old Clocks and Watches/Britten S. 401

“Clocks are occasionally to be seen which strike the hours from one to six four times over during twenty-four hours. In many parts of southern Italy the hours were regularly sounded in this way.”
Die deutsche Räderuhr Bd. 1 S. 76

„Für den italienischen Markt sind einige Augsburger Uhren mit einem 1-6 Stunden Schlagwerk versehen worden, die Schloßscheibe hat dann nur 6 verschieden lange Erhebungen.“ Beispiele sind: Bd. II Abb. 174, S. 31 „Uhr mit Gewichtantrieb, süddeutsch. 4. Viertel 16. Jhd. Privatsammlung …. Stundenschlagwerk I-VI“
Meisterwerke der Uhrmacherkunst I, Luigi Pippa S. 12

„Stundenschlagwerk italienischer Art, Teilung der Schlossscheibe in zwei Folgen bis -6-. Feststehende Federhäuser … ohne Schnecke“
   Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, dass diese ca. 400 Jahre alte Uhr noch über alle Funktionen verfügt, die der uns unbekannte Uhrmacher ihr zugedacht hat: sie läuft und sie schlägt und bereitet dem jetzigen Besitzer viel Freude und er bemerkt zu seinem Sammlerglück: „Die unzähligen Jahre der hartnäckigen Suche aber auch der Enttäuschungen haben sich gelohnt!“
Bei der Beschreibung der nicht signierten Halsuhr mit Schlagwerk habe ich mich im Wesentlichen an die Ausführungen von Hugh Tait, P.G. Coole und David Thompson gehalten, die die Stackfreed-Uhren im Britischen Museum beschrieben haben. Weiterhin sind umfangreiche Ausführungen zu diesen Uhren und der Wirkung des Stackfreeds durch Otto Habinger (Alte Uhren 1/1991) und von Heinrich Pavel in seinem Bericht in der Jahresschrift DGC 2003 ab S. 65 gemacht worden. Eine komplette Uhrensammlung von Stackfreed-Uhren ist dokumentiert von Dr.E. Gschwind, Basel in seinem Büchlein „Stackfreed 1540-1640“.

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