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Vorstellung einer frühen Taschenuhr

Beim Schlendern über einen Flohmarkt fällt mein Blick auf eine „interessante Taschenuhr”. Es handelt sich um eine Uhr für den türkischen Markt mit dem üblichen Zifferblatt, jedoch fehlt der Schutzdeckel. Der Erwerb dieses Wracks ist der Beginn einer nunmehr jahrelangen Sammelleidenschaft. Gesammelt wird alles, was Spaß macht und tickt - bis das Ganze viel zu unübersichtlich und das Sammelgebiet auf Taschenuhren mit Spindelhemmung eingegrenzt wird. Nachdem ich mich von diversen Uhren aus der Anfangszeit meines Sammelns getrennt habe, ist inzwischen eine Kollektion von vielen schönen Uhren entstanden, die alle gekauft, getauscht und ersteigert wurden unter der Zielsetzung, eine umfassende und harmonische Sammlung zusammenzustellen. Die Grundidee, die dahinter steht, ist nicht kommerziel ausgerichtet, es soll vielmehr darum gehen, die Vielfalt der Einfälle von Uhrmachern und Kunsthandwerkern zu dokumentieren, technische Konzepte nachzuvollziehen und u.a. auch per Internet auf meiner HP  http://taschenuhr.wixsite.com/antike-taschenuhren anderen Uhrenfreunden zu präsentieren und Freude damit zu bereiten.

Anhand des nachfolgenden Berichtes möchte ich Ihnen schildern, was es Alles im engeren Umfeld einer erworbenen Uhr zu erfahren, zu studieren und zu hinterfragen gibt. Das vorgestellte Exemplar wurde bei einer Auktion erworben und ist wie folgt zu beschreiben:

Es handelt sich um eine relativ seltene runde einzeigerige Hals- oder Anhängeruhr mit silbernem Gehäuse und Wecker auf Glocke. Das Spindelwerk ist auf der Platine signiert mit Nicolaus Rugendas Augs Die Zuordnung dieser Uhr als Taschenuhr ist schon fragwürdig, zumal die tragbaren Uhren in dieser Zeit ( 1570 - 1650 ) meist als Hals- oder Anhängeruhren getragen wurden. Taschen sind in den Hosen dieser Epoche noch nicht bekannt, Westen mit entsprechenden Taschen wurden um 1650 modern. Alle Dinge, die am Körper mitzuführen waren, wurden um den Hals oder am Gürtel befestigt getragen. Der Begriff einer Anhängeruhr scheint zutreffend zu sein.

Die Machart und die Erscheinungsform des Repercé-Silbergehäuses ( Durchm. 44 mm, Dicke 27 mm ) ist mit den auf der Rückseite dekorierten Erdbeerblüten und -früchten und dem Bügelknopf ( Pendant ) in Form einer aufgehenden Knospe schon seit 1580 bekannt. Bemerkenswert ist noch eine extrem kleine ( 2 mm ) handgestichelte Zahl in einer Blüte: 1594. Ob es sich um eine Reparaturmarke, einen Scherz oder einen mir nicht bekannten Hinweis handelt, ist unklar.   Mittig ist eine Rosette von Blütenblättern eingraviert. Diese durchbrochenen Gehäuse waren bei Uhren mit Weckern oder Selbstschlagwerken, später ebenso für Repetitionen, erforderlich, damit der Schall der Glocke nach außen dringen konnte. Der obere Rand ist mit kordelartigen Verzierungen versehen, die in den oberen Gehäusedeckel übergehen. In Höhe des Scharnieres ist die Lünette mit eingravierten Hunden oder Füchsen geschmückt, die Richtung der Gravuren macht nur dann einen Sinn, wenn die Uhr als Anhängeruhr an einer Kordel oder Kette um den Hals getragen wurde. Das vorhandene Schutzglas ist keinesfalls original.

Das silberne Zifferblatt hat einen Durchmesser von 37 mm und eine Stärke von 1,5 mm, an der Rückseite sind 3 Stifte zur Befestigung der Zifferblattscheibe am Werk angebracht. Der äußere Ring weist mit römischen Ziffern die Stunden. Im Zentrum befindet sich die Weckerscheibe ( Durchmesser 18 mm ) mit gegen den Uhrzeigersinn laufenden arabischen Zahlen für die Weckzeit. Der mit der Scheibe an der 12 befestigte Zeiger weist die Stunden, der kleine auf dem zentralen Vierkant sitzende, gebläute Stahlzeiger weist die Weckzeit. Die Lünette, das Werk und das Gehäuse sind mit einem siebenteiligen Scharnier miteinander verbunden.

Das Werk ist aufklappbar unter dem Pendant, die Platinen und die Räder sind feuervergoldet. Die vordere Platine hat einen Durchmesser von 37 mm, die hintere von 35 mm, die Innenhöhe beträgt 7,5 mm, beide sind verbunden durch  5 runde, balusterförmige Pfeiler. Der Aufzug erfolgt über Federhaus, Schnecke ( 5 ½  Umgänge ) und Kette ( ursprünglich möglicherweise über  Darmsaite ) .

Die Gangregelung erfolgt über die Spindel mit einem verkleinerten Waagbalken, dem Foliot oder Löffelunruh. Abgefedert wird der Schwung der Löffelwaag durch die Schweinsborstenregulierung. Diese Borsten sind aufrecht stehend auf dem verschiebbaren Eisensteg befestigt und regulieren die Gangweite. Diese Form der Gangregulierung war ein typisches Merkmal süddeutscher Uhren. Die Nachfolge dieser Löffelunruh trat etwa ab dem 2. Viertel des 17. Jahrhunderts die Unrast  ( ohne Feder ) an. Nach der Erfindung der Unruhfeder durch den Holländer Huygens Mitte der 70er Jahre wurde die heute bekannte Unruh gebräuchlich.

Der relativ schmucklose, S-förmig geformte Unruhkloben ist feuervergoldet und auf einem Vierkant mit einem gesteckten Splint gesichert.

Die Einstellung der Federvorspannung der Zugfeder erfolgt über eine Wurmschraube, die auf der hinteren Platine außen angebracht ist, eine der Befestigungen ist nicht mehr vorhanden, an einer weiteren ist ein Teil des Schmuckelementes abgebrochen. Die Regulierung erfolgt mit einem kleinen Vierkantschlüssel, abzulesen ist die Einstellung auf einer kleinen silbernen Nummernscheibe, auf der die Zahlenfolge 1 bis 8 gegen den Uhrzeigersinn verläuft.  Erwähnenswert ist hier wie auch auf der Weckerscheibe die Schreibweise der „2” in der zeittypischen Art deutscher Beschriftung.

Das Weckerwerk ist im Prinzip gleichartig aufgebaut wie das Spindelwerk: es besitzt die Feder, einige Laufräder und eine vereinfachte Spindelhemmung, bei der es auf die Genauigkeit des Ablaufens nicht ankommt. Statt der Waag oder der Unruh besitzt der Wecker ein hin- und herschwingendes doppelarmiges Hämmerchen, welches auf die im Gehäuse befestigte Glocke schlägt. Das Federhaus des Weckerwerkes ist sehr schön mit Gravuren verziert worden.  Die Auslösung des Weckers erfolgt, wenn der   Hebelmechanismus in die Ausnehmung der umlaufenden Scheibe des Stundenzeigers fällt. 

Zum Aufziehen des Uhrwerkes und des Weckerwerkes muss das Werk herausgeklappt werden und dann kann mit einem hohlen Vierkantschlüssel die Feder gespannt werden.

Die Rückplatine ist noch mit drei weiteren Bohrlöchern versehen, deren Bedeutung im Moment noch unklar ist. Es kann spekuliert werden, daß die Uhr  in irgendeiner Form umgebaut ( modernisiert ) wurde.

Die Rückseite der Platine ist mit der Signatur Nicolaus Rugendas Augs  in ausgeprägter Schreibschrift versehen. Die Daten der Familie Rugendas sind in der Literatur bekannt.    

Rugendas

Uhrmacherfamilie in Augsburg, deren wichtigste Vertreter, Nikolaus I (1582 - 1658), Nikolaus II (1619 - 1694) und Nikolaus III (1665 - 1745), nicht nur Hals und Stutzuhren, sondern auch Sonnen-, Mond- und Sternuhren herstellten.

Nikolaus I Rugendas, 1582 in Melsungen (Hessen) geboren, kam 1608 nach Ausgburg, wo er 1616 Meister wurde; er starb dort 1658. Er war ein anerkannt guter Uhrmacher und hatte zudem das Glück, sich reich zu verheiraten( Sarah Schmidt 1608 ). 1638/39 war er verordneter und geschworener Meister der Uhrmacher. Von den neun Kindern wurden zwei Söhne, nämlich Hans Jakob I und Nicolaus II ( geb. 1619) ebenfalls Uhrmacher. Die Tochter Katharina heiratete 1647 den Kleinuhrmacher Wilhelm Pepfenhauser. In den Musterungslisten der Stadt Augsburg wurde 1619 eingetragen, daß ein Geselle aus Schlander in seiner Werkstatt arbeitete. Das Meisterstück von Nicolaus Rugendas I, eine Spiegeluhr ist im Privatbesitz in Milwaukee, Wisc. USA. In englischer Literatur wird ihm die Idee zugeschrieben, die Glocke für die ¼ Repetition unter dem Zifferblatt anzubringen.

Nikolaus II Rugendas, sein Sohn lebt 1619 bis 1695 in Ausgburg als Uhrmacher. Als Meisterstück fertigte er eine Tischuhr, die vom Erzherzog Leopold Wilhelm 1661 gekauft wurde. Von ihm haben sich einige Dutzend Räder, Sonnen- und Monduhren erhalten, allerdings ist man nicht sicher, ob nicht die Räderuhren von seinem Vater angefertigt wurden. Er hatte auch einen Sohn, Nikolaus III (1665 -1745), der auch Kleinuhr- und Kompaßmacher war.

Die Uhrmacher im Augsburg dieser Zeit lebten in festgefügten Regeln ihrer Zunft. Um den Meistertitel zu erlangen, gab es einen festgeschriebenen Erlass von 1577. Darin wurden die Lehrjahre, die Gesellenjahre, das Meisterstück und die damit verbundenen Gebühren geregelt. Ebenfalls schrieb die Ordnung den Meistern vor, wie viele Lehrlinge und Gesellen angestellt werden durften. Durch Arbeitsteilung mit Gehäusemachern und Goldschmieden konnten die Zahlen der Uhrenanfertigungen gesteigert werden. Es wurden Uhren vorgefertigt und auch auf Bestellung angefertigt, die Preise verfielen in den Zeiten des 30-jährigen Krieges (1618 - 1648 ) doch erheblich. Uhren wurden von Kaufleuten, Handwerksmeistern und dem Adel erworben und voller Stolz getragen. Sie dienten oftmals dem Prestige und Ansehen des Trägers mehr, als dass sie die Zeit genau anzeigen konnten. Für diese Zwecke wurden häufig Sonnenuhren verwendet, die ebenfalls zum Regulieren der Räderuhren eingesetzt wurden.

Einen korrekten Herstellungszeitpunkt für diese Uhr zu ermitteln, scheint schwierig. Die unterschiedlichsten Merkmale sprechen für einen Zeitraum von 1630 bis 1650. Ob der Uhrmacher hinter der Signatur Nicolaus I oder II ist, kann nur vermutet werden, zumal dem II. in den verschiedenen Kommentaren meist nur Sonnenuhren und Kompasse zugeschrieben werden und beide Uhrmacher zeitüberlappend gearbeitet haben.

Über weitere Erkenntnisse von Uhrensammlern, die möglicherweise über ein gleiches oder ähnliches Stück verfügen, würde ich mich freuen.

Nach Informationen habe ich im Internet und in der Literatur gesucht und wurde zu den verschiedenen Teilbereichen fündig bei:

Abeler, Meister der Uhrmacherkunst 

Cardinal, Die Zeit an der Kette

Cardinal, Le montres ... du Louvre : I + II

Clutton/Daniels, Taschenuhren

Fowler, Taschenuhren aus vier Jahrhunderten

König, Die Uhr

Maurice/Mayer, Deutsche Uhren und Automaten

Meis, Die alte Uhr Band I

Meis, Taschenuhren

Stolberg, Lexikon der Taschenuhr

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