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Karossenuhr mit Stundenselbstschlag und Astronomischer Anzeige sowie Stackfreed aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts

Zu dieser Zeit konnten sich nur hochgestellte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ein solches Kleinod leisten. Dass die Karossenuhr auch ein Statussymbol war, belegen zahlreiche Bilder, auf welchen sich die stolzen Besitzer mit ihrer Uhr portraitieren ließen.

 

Die frühen Hals- und Karossenuhren entwickelten sich aus den zylindrisch geformten Dosenuhren, wurden flacher und bildeten in der Zeit um 1650 die Gruppe der sogenannten Trommeluhren. Diese waren am Boden und am Deckel der Uhr flach geformt und hatten ein gerades Band um die Seiten herum. Sowohl der Deckel als auch der Boden waren aufgedrückt und hatten keinerlei Scharniere als Verbindungselement.

 

Wenig später entwickelte sich aus der Zylinderform der Trommeluhr ein abgerundetes Gehäuse mit leicht erhabenen Gehäusedeckeln sowie gerundeten Seitenteilen. In der Regel waren diese Gehäuse durchbrochen, da die Mehrzahl der heute noch existenten Uhren jener Zeit mit einem Stunden-Schlagwerk und einer Glocke ausgerüstet waren. Fast immer waren die Gehäuseschale, das Werk mit dem Zifferblatt und der Gehäusedeckel durch ein Scharnier bei der Zwölf verbunden.

 

Das Gehäuse besteht aus feuervergoldeter Bronze, der kordelförmige Rand ist 15 mm hoch und nimmt das Werk und die Weckerglocke auf. Der Rand ist durchbrochen, die Gehäuse-Rückseite wie das gesamte Gehäuse und die Deckel sind durchbrochen gearbeitet. Typisches Renaissance-Rankenwerk mit floralen Motiven entwickelt sich an der Gehäuseschale aus einer Vase heraus. Der Deckel weist florale Elemente und sonnenstrahlenförmige Motive auf. Um die zentrale, gelochte und gravierte Scheibe sind die zwölf herzförmigen Ausnehmungen platziert, durch die man die Stundenzahlen (im 2er Rhythmus) ablesen kann. Für die 24-Stundenanzeige sind weitere Öffnungen konzipiert. Die Innenseite des Gehäusedeckels ähnelt in der Gravur der Außenseite. Bei der „VI“ befindet sich ein kleiner kommaförmiger Haken, der den Deckel mit der Gehäuseschale verschließt. Der kugelförmige Pendent ist aus einem Stück Messing herausgearbeitet, darin befindet sich ein 15 mm großer Tragering. Das tropfenförmige Stück am unteren Ende des Gehäuses bildet einen harmonischen Abschluß der Gesamterscheinung.

 

Die Zifferblattseite zeigt diverse Indikationen und wird im Kunsthandwerk mit „astronomischen Anzeigen“ vorgestellt. Ein äußerer silberner Ring zeigt am Rand umlaufend die Stunden des ganzen Tages in römischen Zahlen von I bis XII und weiter wiederum von I bis XII an. Die halben Stunden sind durch senkrechte Striche mit einem Punkt als Abschluß bezeichnet. Danach schließt sich die nächste Anzeige mit Viertelstundenkennungen an. Die abschließende Anzeige auf dem silbernen Ring zeigt umlaufend als Besonderheit die 24 Tagesstunden fortlaufend von 1-24 in arabischen Zahlen an. So etwas war nur im Regionalbereich in und um Nürnberg üblich. Die Zwei in Form eines „Z“ verweist eindeutig auf einen süddeutschen Herstellungsort. Dieser silberne Ring ist fest und bewegt sich nicht. Im Folgenden ist eine vergoldete Messingscheibe zu erkennen, die sich im Uhrzeigersinn bewegt. Und zwar dreht sie sich in 30 Tagen 29 mal. Die außen herum gravierten arabischen Zahlen von 1-29 ½ zeigen den Mondkalender, hier einen synodischen Mondmonat (genaueres bei www.timeanddate.de). Die Anzeige erfolgt über den kleinen Knopf über dem Fenster, welches die Mondphasen (Neumond, Halbmond und Vollmond) anzeigt. Diese zentrisch angebrachte, oberste Scheibe ist mittig mit einer originalen quadratischen Schraube gesichert. Dem Fenster gegenüber ist der Eisenzeiger für die Stundenanzeige angebracht. Diese Scheibe ist flächig mit den Aspekten und deren Winkeln graviert. Mit Hilfe dieser Anzeigen: Sonne – Mond – Aspekten worden Horoskope erstellt und günstige oder ungünstige Tage für wichtige Arbeiten und Entscheidungen getroffen (genaueres bei www.astrodata.com ). Astrologie und Astronomie gingen zu dieser Zeit noch miteinander im täglichen Leben der Menschen. Diese Gesamtform einer Zifferblattanzeige ist z.B. dokumentiert in „Die Deutsche Räderuhr Band II Nr. 545“ auf einer Monstranzuhr von ca. 1580 aus Nürnberg (Privatbesitz). In diesem Buch arbeitet der Autor, Herr Klaus Maurice, heraus, dass Uhren dieser Zeit mit durchgehender Nummerierung der 24 Tagesstunden fast nur im Raum Nürnberg (Nürnberger Zeit) gefertigt wurden.    

Spindelwerk mit Stundenschlagwerk ohne Schnecke.

Zum Ausgleich der Federkraft wird das Stackfreed genutzt. Zwei sehr stabile Henkel an der Unterseite des Zifferblattes stellen die solide Verbindung zum Werk her.  Diverse Teile des Uhrwerkes sind noch aus Eisen gefertigt  wie das Stackfreed, die Kurvenscheibe, das Foliot mit dem dazugehörigen Kloben, die Reguliereinrichtung sowie weitere Kleinteile. Alle Eisenteile sind nicht konservatorisch behandelt. Die Pfeiler sind von der Zifferblattseite aus verstiftet. Bei späteren Taschenuhren geschieht dies von der gegenüber liegenden Seite.. Bei Betrachtung der Werkunterseite fällt der Blick sofort auf das C-förmige Stackfreed.

[Umfangreiche Ausführungen zu diesen Uhren und der Wirkung des Stackfreeds sind von Otto Habinger (Alte Uhren 1/1991) und von Heinrich Pavel in seinem Bericht in der Jahresschrift DGC 2003 ab S. 65 gemacht worden.]

Ein wesentliches Anliegen der Uhrmacher lag darin, die vorhandene Kraft gleichmäßig auf das Werk wirken zu lassen. Mithilfe der Schnecke gelang es schon früh, diesen Kraftausgleich zwischen einer voll aufgezogenen und einer abgelaufenen Feder zu erreichen. Im deutschsprachigen Raum wurde in tragbaren Uhren auch eine andere Variante des Kraftausgleiches eingesetzt: „das Stackfreed“. Die Herkunft des Begriffes ist nach wie vor nicht geklärt. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts, ca. 300 Jahre nach der ersten Verwendung des Stackfreeds, wird die Bezeichnung in der Uhrenliteratur gebräuchlich. Eine Variante, diesen Begriff für den deutschen Sprachgebrauch zu interpretieren, lautet: „Starke Feder“. Durch den Wegfall der Schnecke wurde Platz für den Einbau von Schlagwerken geschaffen.

Es handelt sich dabei um eine Feder, die mit einem an der Spitze befindlichen Rad an eine Kurvenscheibe (in Nieren- oder Schneckenform) drückt. Diese Scheibe wiederum ist auf ein Zahnrad montiert, das in einen Trieb eingreift, welches auf der Federwelle befestigt ist. Das ganze dreht sich im Verhältnis 1:3, das bedeutet 1 Drehung des Stackfreedrades  = 3 Umdrehungen des Federrades. Die Verzahnung des Stackfreedrades ist nicht komplett, so dass es auf beiden Seiten einen Anschlag gibt. Damit ist eine mittlere Druckstärke der Feder ist gewährleistet. Ein Überdrehen der Aufzugsfeder wird so ebenfalls vermieden. Auf der Aufzugsfeder ist die Kurvenscheibe verschraubt. Die Kurvenscheibe hat hier die Form einer ausgeprägten Niere. (Siehe dazu ausf. Bericht Jahresschrift DGC 2003 von Heinrich Pavel ab S. 65) An der Kurvenscheibe liegt die Stackfreedfeder stramm an. Sie ist in einem starken C geformt und besitzt an der Spitze ein kleines Rad, um den Reibungsmoment gleichmäßig zu halten beim Bremsvorgang. Es gibt die Stackfreedfeder in allen erdenkbaren Formen, als C oder G oder S gebogen. Die Aufgabe des Stackfreed ist es, die Kraft der Aufzugsfeder während des gesamten Verlaufes zu vereinheitlichen, ohne den entsprechenden Platz im Werk zu benötigen wie die sonst verwendete Schnecke. Die insgesamt schmucklose Rückansicht zeigt unter anderem die eiserne Friktionsscheibe mit dem Stopprad von 30 Zähnen und das Führungstrieb von 8 Zähnen.

Aus der Waag der frühen Großuhr entwickelte sich die Löffelwaag, wie sie hier zu sehen ist. Auf den Löffeln befinden sich zur Regulierung des Foliots drehbare exzentrische Scheiben. Diese frühe Form der Regulierung des Gangwerkes ist nur ganz selten dokumentiert. (Siehe eine Dosenuhr der Sammlung Fränkel.) Bei etwa 50 % aller bekannten Halsuhren dieser Zeit kam die Löffelwaag (Foliot) zur Verwendung. Weitere Entwicklungsstufen folgten mit der Unrast (2-schenkelig und ohne Spiralfeder) und der Unruh (3-schenkelig mit Spiralfeder) und vielen weiteren Stufen in Form von Kompensationen. Die Spindel mit der Löffelwaag (Foliot) wird vom Kloben in einfacher C-Form gehalten. Dieser entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem aufwändigen Schmuckelement mit Gravierungen, feinen Sägearbeiten, schönen Emaildekoren usw., um dann in neuzeitlichen Taschenuhren wieder zu einem einfachen Bauteil zu werden. Der Hebel mit den senkrecht aufgebrachten Schweinsborsten dient der Regulierung der Schwingungsweite des Foliots. Eine Hilfsskala unterstützt die Handhabung der Regulierung. Die innenverzahnte eiserne Schloßscheibe ist Teil des Stundenschlagwerkes, welches hier die Stunden von I-XII schlägt.  Der in die Schloßscheibe eingreifende Stopphebel ist ebenfalls zu erkennen. Das Gehwerk und das Schlagwerk sind zwischen den beiden Messing-Vollplatinen angeordnet.

In sehr frühen tragbaren Uhren war die Aufzugs-Feder ohne ein Federhaus zwischen Pfeilern untergebracht. So besitzt auch die hier beschriebene Uhr zwei Federn für Geh- und Schlagwerk ohne Federhäuser.

Der C-förmig gestaltete Spindelkloben aus Eisen ist mit einer Schraube befestigt. Der Meister, der diese Uhr gefertigt hat, brachte seine Punze mit den Initialen PH im Schild ebenfalss auf der Werksplatine an.
 

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